Konrad+Segerer stellt sich vor
Das Architekturbüro Konrad+Segerer wurde 2008 von den Architekten Thomas Konrad und Günter Segerer gegründet. Thomas hat seine Ausbildung zum Architekten an der Technischen Universität in Wien absolviert, Günter an der Universität in Kassel in Deutschland. Anlässlich des Relaunch ihrer Homepage habe ich mit ihnen über ihre Sichtweisen zur zeitgenössischen Architektur und ihre Arbeit vom Entwurf und Planen sowie den Herausforderungen bei der täglichen Arbeit auf der Baustelle gesprochen.
Was würdet ihr beide gerne bauen, wenn ihr es Euch aussuchen könntet? Welches Objekt würde Euch da am meisten reizen?
Günter: Was würde ich gerne bauen … eigentlich am liebsten ein Hotel.
Kannst Du das ein wenig näher beschreiben?
Das Gebäude muss in einen Dialog treten mit seiner Umgebung. Dieses Hotel steht am Meer, über den Klippen, und fügt sich in die umgebende Landschaft ein … es reagiert auf die Küste und auf das Meer.
Steht dieses Hotel am Mittelmeer oder eher im Norden?
Nein, am Mittelmeer steht diese Hotel nicht. Eher noch weiter südlicher oder vielleicht auch am Atlantik. Es könnte aber auch mehr im Norden stehen. An einer nordeuropäischen Küste. Da könnte das Hotel auch gut hinpassen. Aber wenn ich es mir recht überlege, dann passt das Hotel, das ich jetzt vor meinem geistigen Auge habe, eher in warme klimatische Verhältnisse.
Wie unterscheiden sich eigentlich die Baustile – macht es einen Unterschied ob ein Gebäude in Spanien oder in Dänemark steht?
Sicher, die Umgebung und die Landschaft, die Mentalität der Menschen und die Kultur eines Landes, das spiegelt sich auch in der Architektur wieder – zumindest sehe ich das als Auftrag an uns als Architekten, das mit einzubeziehen. Ein Hotelbau in Asien oder Südamerika unterscheidet sich von einem in Europa auf alle Fälle. Schon vom Platz her und auch von den klimatischen Verhältnissen kannst du da ganz anders agieren.
Absolut beeindruckend auf einer meiner Reisen war ein Hotel in Brasilien. In der Lobby des Hotels gab es eine riesengroße Glasfläche – so groß wie eine Kinoleinwand, im ersten Moment habe ich gedacht, dass es eine Fototapete ist – durch die man einen überwältigenden Ausblick auf den Dschungel hatte, man sah sogar die Dämpfe der Iguazú Wasserfälle aufsteigen. Mir war schon bewusst, dass wir in der Umgebung des Nationalparks waren aber das war ein absolut überraschender Empfang, wo es Dich förmlich in diese Naturlandschaft hineingezogen hat. Ein unvergesslicher Anblick. Oder in Malaysia war ich in einem Hotel, in dem die Duschen zwar räumlich getrennt, aber nach oben hin offen waren. Dadurch hattest du das Gefühl du duschst im Freien. Also die klimatischen Bedingungen, wenn Du zum Beispiel nicht auf Einflüsse wie die Kälte in unseren Breitengraden reagieren musst, dann ergeben sich einfach viel mehr Möglichkeiten. Man kann sich dann mehr mit der Natur auseinandersetzen und luftiger bauen. Das Platzangebot ist in asiatischen Ländern einfach größer, dadurch kann man dort Hotels auch weitaus großzügiger gestalten.
Thomas, welcher Bau schwebt Dir vor?
Thomas: Also da geht es eigentlich um zwei verschiedene Sachen, die eine ist das Bauen und das andere das Planen. Planen würde ich gerne einen Bau im öffentlichen bzw. halböffentlichen Bereich. Ein Gebäude in der Stadt, das auch das Publikum miteinbezieht. Ein Museum, das trifft es wahrscheinlich am besten. Mit einem Außenbereich, der öffentlich und einem Innenbereich der halböffentlich zugänglich ist. Mich faszinieren Räume, die sich inszenieren, unabhängig von der Möblierung und vom Inventar. Beim Museum ist das ganz speziell, da werden zwar Objekte ausgestellt, aber es muss auch der Raum selber wirken. Es ist schön ein Museum zu begehen, wenn es gut gemacht ist, unabhängig davon was dort so herumhängt. Ich schaue mir die ausgestellten Objekte schon gerne an, die können mir gefallen oder auch nicht. Aber die Ausstellung bringt mich normalerweise nicht ins Museum sondern der Bau selber.
Räume, die sich inszenieren
Eines der faszinierendsten Museen, das ich gesehen habe, war in Barcelona, das Museum der Moderne von Richard Meier. Die Möglichkeit, so ein Objekt zu planen, die hätte ich schon gern. Aber beim Bauen selber, da bin ich nicht wählerisch, da baue ich auch gerne eine Würstelbox. Wenn es um das Umsetzen geht, dann ist es eigentlich egal was das für ein Bau ist. Da geht es darum, dass die Abläufe passen und dass die Zusammenarbeit mit den beteiligten Firmen und dem Bauherrn funktioniert. Und dass wir als Architekturbüro dahingehend wirken können, dass alle auf der gleichen Seite ziehen – das ist bei der Umsetzung die größte Herausforderung. Durch den hohen Kostendruck in unserer Branche ist es nicht immer leicht, das Commitment aller Beteiligten zu bekommen. Ein Projekt, wo das wirklich hervorragend funktioniert hat, war die Revitalisierung des Moorbad Schrems. Das war, was die Zusammenarbeit betrifft, ein Vorzeigeprojekt, vor allem auch deshalb weil das Ineinandergreifen von Architektur und Landschaftsplanung dort sehr gut gelungen ist.
Aber beim Akt der Umsetzung ist es mir egal ob es sich bei dem Bau um ein Krankenhaus oder ein städtisches Bad handelt, denn da geht es um den Akt des Bauens an und für sich. Und wie Günter schon gesagt hat, sind in unseren Gefilden Themen wie Bauphysik und Wärmedämmung wichtig und herausfordernd.
Eure Arbeit kann man also grob in zwei Phasen unterteilen: Das Planen als kreativer und visionärer Prozess. Und auf der anderen Seite das Bauen und Umsetzen, wo es um die Projektkoordination und die Interaktion aller am Bau beteiligten geht …
… ja, unzählige Faktoren, die da eine Rolle spielen, zum Beispiel auch die Sicherheit, die auf der Baustelle für alle Beteiligten gewährleistet sein muss. Planen und Bauen sind zwei grundlegend verschiedene Sachen, die natürlich zusammenwirken. Das Planen ist ein kreativer Prozess wo ich mich nicht gleich zu Beginn von Vorgaben und Normen einkasteln lassen darf. Aber am Ende des Planungsprozesses muss ein Plan stehen, der anschlussfähig also realisierbar ist. Und das fertige Objekt erfüllt dann alle Normen und gesetzlichen Vorschriften, und um das wichtigste nicht außer Acht zu lassen: dieser Bau entspricht dann auch den Anforderungen und Vorstellungen unserer Auftraggeber. Insofern ist eigentlich jeder Bau ein Kunstwerk … (lacht).
Wie wichtig ist eigentlich die äußere Form des Gebäudes? Der derzeitige Dress-Code scheint ja zu sein, dass die Achsen möglichst schief und die Formen möglichst rund sein müssen?
Günter: Die Außenhaut und die Form des Gebäudes kann sehr spektakulär sein, aber es gibt auch Gebäude, die sind introvertiert und erschließen sich mehr nach innen. Das Abschoten nach außen kann ebenso Teil des architektonischen Konzepts sein, etwa wenn ein Objekt in einer nicht so tollen landschaftlichen Umgebung steht, oder weil sich die Leute beim Wellnessen entspannen wollen und vor Einblicken von außen geschützt werden müssen. Extrovertierte Gebäude beziehen die Außenwelt stärker mit ein. Die Lage ist wichtig: In welchen Raum ist ein Objekt ein Hotel, ein Museum oder ein Öffentliches Bad eingebettet und in welchem kulturellen Kontext steht der Bau. Entscheidend ist aber was sich in den Innenräumen abspielt. Wie ist das Raumerlebnis …
Aber ist zum Beispiel bei einem Museumsbau nicht auch die Form und die Außenhaut ein wesentlicher Faktor?
Thomas: Die Oberfläche ist nicht so dramatisch wichtig. Die äußere Form muss einen guten Raum erzeugen. Welche Platten jetzt auf der Außenfassade montiert werden, ob die aus Glas oder einem anderen Material sind, ist sekundär. Entscheidend ist, wie Günter schon gesagt hat, das Raumerlebnis, das dadurch erzeugt wird. O.k. der Bau soll nicht ganz hässlich sein, aber es gibt ausreichend Spielraum wenn man sich vom Hässlichen abwenden und dem Schönen zuwenden will. Was mir dazu einfällt ist ein Bau von Mies van der Rohe aus den 1960er-Jahren: Die Neue Nationalgalerie in Berlin. Das ist oberflächlich betrachtet eigentlich nichts anderes als eine relativ große Kiste aus Stahl und Glas, mit vielen Stahlstützen, die auch den Innenraum prägen. Aber dieses Objekt hat eine Atmosphäre und einen Charakter, das ist gewaltig – aber die äußere Form …
Günter: … von außen schaut es mehr wie ein Tempel aus. Ein ganz einfacher Bau. Man geht ein paar Stufen hoch, dann kommt das Fundament, da stehen die Stahlstützen drauf, dazwischen das Glas und als Abschluss oben auch wieder nur eine Platte, ein ganz einfaches Flachdach.
Architektur ist keine Skulptur
Thomas: Ja, aber damit erzeugt man Raum. Wenn es gut gemacht ist, dann reicht das für mich um spannend zu sein. Der Gegenentwurf dazu ist für mich das Guggenheim-Museum in Bilbao. Das kommt mir vor, wie wenn ein Bildhauer eine überdimensionierte Skultpur hingestellt hat, die man begehen kann. Aus meiner Sicht ist Architektur aber keine Skulptur.
Günter: Aber das hast Du bei der Wotruba-Kirche auch. Das ist auch eine Skulptur.
Thomas: Ja, aber Wotruba war ein Bildhauer. Da ist mir schon klar, was seine Herangehensweise war. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist als Architekt wie ein Bildhauer an die Sache heranzugehen.
Ist es nicht so, dass die äußere Form eines Gebäudes auch für die Vermarktung eine wesentliche Rolle spielt? Gerade beim Guggenheim-Museum in Bilbao hat man doch das Gefühl, dass man das gesehen haben muss. Eben weil es diese spektakuläre Form hat.
Thomas: Es gibt viele Architektur-Beispiele wo der Innenraum nicht im Fokus gestanden ist …
Günter: … und man den Eindruck hat, dass sich der Innenraum eher zufällig ergeben hat …
Thomas: … oder der Raum nicht sehr viel Power hat. Es gibt eben auch Architekten, die in einem Objekt in erster Linie die Skulptur sehen. Und das merkt man dann auch an der Raumkonzeption.
Ich habe vor ein paar Jahren einen Wohnbau in Wien besichtigt, der zu dem Zeitpunkt noch im Rohbau gestanden ist. Wie Du sagst, von außen war das eine Skulptur. Mir hat das schon sehr gut gefallen. Aber bei der Begehung kann ich mich schon an ein paar Räume erinnern, die sehr klein und extrem verwinkelt waren. Ich habe mich damals gefragt, wie die zukünftigen Mieter diese Räume nützen werden.
Thomas: Rund, eckig oder schief – das sind keine Eigenschaften über die man gute Architektur definieren kann. Räume können schon auch schief sein, aber wenn ich dadurch Grundrisse erzeuge, die keine normale Möblierung mehr ermöglichen und ohne Tischler und Maßanfertigung nichts mehr geht, dann hört sich für mich der Spaß auf. Als Architekt muss man sich schon auch überlegen was es für Konsequenzen hat, wenn man schief baut. Nach außen hin kann das einen super Raum erzeugen, aber das muss auch nach innen funktionieren. Am Ende muss, wenn es um einen Büro- oder Wohnbau geht, ein Objekt entstehen, das auch wirtschaftlich vermarktbar ist. Wenn das niemand mieten will, dann wird es schwierig. Man sollte sich als Architekt auch überlegen was übrig bleibt, wenn man auf Verlangen des Bauherrn die Vision auf das Machbare und Verwertbare reduzieren muss.
Kann man das so zusammenfassen, dass der Innenraum im Zentrum stehen muss? Plant ihr also eher von Innen nach Außen?
Günter: Bei Büros zum Beispiel, da müssen wir uns beim Planen an den Funktionsabläufen orientieren, trotzdem müssen wir aber auch immer beachten, welche Grenzen haben wir nach außen, und das müssen wir eben zusammenbringen.
Thomas: Das ist ganz relevant, dafür braucht es eben auch Architekten, denn es muss auch der Außenraum gestaltet werden. Das liegt auch in der Verpflichtung jedes Bauherrn, egal ob es sich um einen innerstädtischen Großbau handelt oder um ein Einfamilienhaus am Stadtrand. Und dieser Außenraum entsteht nicht automatisch durch die Planung eines tollen Raumgefüges und die Zweckmäßigkeit der Innenräume. Man kann das also nicht trennen, Innen und Außen stehen beim Planen von Anfang an immer in einem Kontext. Aber beim Planen von Außen nach Innen vorzugehen, das ist kein Credo, das man verfolgen sollte.
Aber man hat gegenwärtig den Eindruck, dass die Außenhaut und die Form eines Objektes in der Rezeption eine stärkere Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Thomas: Wir sollten unterscheiden zwischen Bildhauern, die architektonische Skulpturen erschaffen, und Architekten. Weil Du die Vermarktung angesprochen hast: Manches was gebaut wird, wirkt eher wie ein Marketing-Gag, da muss man aufpassen, dass man das nicht übertreibt. Architektur ist kein Gag. In den 1920er Jahren wurden in Europa viele Objekte gebaut, die auch jetzt noch Gültigkeit haben. Wenn man sich Fotos aus dieser Zeit ansieht, Bauwerke von Le Corbusier oder Mies van der Rohe zum Beispiel, und die Oldtimer sieht, die daran vorbeifahren, dann schaut das für mich manchmal sehr futuristisch aus. Dass, was die gebaut haben, ist noch immer modern, und wird es wahrscheinlich auch noch in 100 Jahren sein. Diese Architekten waren ihrer Zeit ein Jahrhundert voraus und haben zukunftsweisend gebaut.
Architektur muss zeitlos und zukunftsweisend sein
Ist es das, was man sich als Architekt wünscht, dass es …
… zeitlos ist. Architektur hat einen Anspruch auf Langlebigkeit. Daher muss es auch zeitlos sein und darf sich nicht kurzfristigen Moden unterwerfen. Das ist eine wesentliche Aufgabe an uns Architekten.
Wenn wir uns jetzt von der Planung in die Umsetzung gehen, also die Vision und den Plan in die Tat umsetzen. Was sind denn die Erfolgsfaktoren beim Bauen?
Thomas: Grundsätzlich gilt: je größer ein geplantes Objekt und je größer die Organisationsstruktur des Auftraggebers ist, desto höher ist auch die Komplexität in der Ausführung. Die Erwartungen sind hoch und damit steigt in der Regel auch der Druck. Aber das Motto „Geiz ist geil“, das funktioniert am Bau nicht. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, dass alle Beteiligten ihren Auftrag zu fairen Bedingungen erbringen können. Das ist die Grundbedingung damit sich alle Bauträger, Architekt und ausführende Firmen, am gemeinsamen Ziel orientieren können.
Günter: Und das wichtigste Ziel ist, gemeinsam ein optimales Gebäude für die späteren Nutzer zu errichten. Und wenn einmal da oder dort Probleme auftauchen, dann muss auch allen Beteiligten klar sein, dass sie diese Probleme nur gemeinsam lösen können. Wenn also Alle um des Werkes Wille tätig sind, dann sind das optimale Verhältnisse um ein Bauprojekt erfolgreich durchführen und abschließen zu können. Wesentlich dafür ist auch die Wertschätzung der Leistung jedes Einzelnen.
Thomas: Es gibt natürlich auch die Kehrseite der Medaille: Wenn die Zeit darauf verwendet wird, den Schuldigen zu suchen und nicht dafür, das Problem zu lösen, dann geht zwangsweise viel Zeit verloren. Wenn wir in einem Projekt für die Örtliche Bauaufsicht verantwortlich sind, dann ist für uns vor allem auch der Umgang mit den Leuten und der zwischenmenschliche Kontakt wichtig. Das ist bei kleineren Baustellen natürlich wesentlich leichter als bei Großen. Wie Günter schon gesagt hat: Es geht um die gegenseitige Wertschätzung und darum dass man sich gegenseitig zuhört. Als ich am Beginn meiner Karriere auf Baustellen gekommen bin und es hat ein Problem gegeben, dann hab ich mir das von den Ausführenden einfach erklären lassen. Dabei habe ich sehr viel gelernt.
Günter: Als Generalplaner setzen wir auf die Erfahrung der ausführenden Firmen und ihrer Mitarbeiter. Wenn du dich auf der Baustelle gegenüber den Leuten präpotent verhältst und ihnen zu verstehen gibst dass du alles besser weißt, dann darfst du dich auch nicht wundern, wenn sich die Leute dann zurücklehnen und sich jeden Schritt von dir erklären und vorschreiben lassen. Wenn Leute auf der Baustelle Dienst nach Vorschrift machen, dann ist das in der Regel kein Erfolgsfaktor. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass es besser ist, wenn die Leuten einen Spielraum haben und sie mitdenken können. Dadurch entstehen sehr oft auch kreative Ideen und gute Lösungen.
Spielt auch die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis eine Rolle?
Thomas: Wenn ich in einer Excel-Tabelle ein paar Zahlen ändere, dann muss ich auch eine Vorstellung davon haben welche Folgewirkungen sich durch die geänderten Parameter ergeben. Es ist nicht so, dass, wenn ich aus Kostengründen das Gebäude um 20 Prozent verkleinere, sich auch die Kosten im gleichen Ausmaß verringern. Durch die Veränderung einer Zahl kann ich nicht die Realität ändern. Es braucht also auch den Kontakt zur realen Welt.
Zum Abschluss: Was würdet ihr gerne in Eurer Branche ändern, was kann man verbessern?
Normenvielfalt und Spezialistentum vs. Blick für das Ganze
Thomas: Das Spezialistentum ist manchmal schwierig. Stichwort: Normenvielfalt. Wir haben die Situation, dass Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen Normen ausarbeiten, die sich gegenseitig behindern und sogar widersprechen können. Es fehlt die Sicht auf das Ganze. Es funktioniert aber nicht wenn man das Ganze in sieben Scheibchen aufteilt und dann versucht jedes Teil für sich zu lösen. Das Gesamtbild muss im Fokus bleiben. Bei großen Projekten und Großbaustellen haben wir dadurch die Situation, dass das Projekt-Controlling auf Basis der vorgegebenen Normen vorgehen muss. Bei der Normenvielfalt – und Normen, die sich wie gesagt auch widersprechen können – wird die Steuerung von großen Bauprojekten eine sehr komplexe Angelegenheit. In diesem Bereich gibt es einen erheblichen Verbesserungsbedarf.
Günter: Ein weiterer Problempunkt in unserer Branche ist auch das öffentliche Vergaberecht. Gemeinden sind beispielsweise an das Billigsbieterprinzip gebunden. Aber die billigste Variante ist für den Auftraggeber in der Regel nicht die beste und auch nicht immer die kostengünstigste. Schlechte Ausführung, Nachforderungen von ausführenden Firmen, Rechtsstreitigkeiten, das bindet ja auch Ressourcen. Wir sind dafür, dass anstatt dessen das Bestbieterprinzip angewendet wird.
Wie wird das definiert?
Bei einem Verfahren nach dem Billigstbieterprinzip muss das Angebot mit dem niedrigsten Preis den Zuschlag erhalten; beim Bestbieterprinzip würde aber das technisch und wirtschaftlich günstigstes Angebot zum Zug kommen. Zugegeben, es ist sicher schwieriger zu definieren welche Kriterien für das Bestbieterprinzip anzuwenden sind. Ein Beipiel: Wenn du einen VW Golf um 5.000 Euro angeboten bekommst, der Listenpreis aber bei circa 20.000 Euro liegt, dann wirst du ja auch skeptisch werden und denken, dass da wohl etwas nicht stimmen kann. Nachdem die Anbieter in Österreich an den Kollektivvertrag gebunden sind, kann der Preis eigentlich nur über die Anzahl an Projekttagen nach unten angepasst werden – aber niemand hat am Bau Wunderwuzzis beschäftigt, die alle Ausführungen in der halben Zeit durchführen können. Eine weitere Stellschraube ist das eingesetzte Material. Aber das hat eben auch seinen Preis. Da wird dann oft mit dem Terminus „gleichwertig“ gearbeitet. Aber es ist ein Unterschied ob ich Armaturen von Grohe einbaue oder eine Billigvariante vom Diskonter, denn die ist eben nicht gleichwertig. Die hält nicht so lange und muss früher wieder ausgetauscht werden. „Billig“ führt also dazu, dass es mittelfristig für den Auftraggeber teurer wird.
Eine neues Gesetz muss ja auch anwendbar sein und Rechtssicherheit schaffen. Habt ihr da eine Empfehlung?
Thomas: Es gibt in unserer Branche leider auch immer wieder Glücksritter, die entweder nicht kalkulieren können oder es steht ihnen das Wasser bis zum Hals. Solche Mitbewerber bieten dann zu Preisen an, die fernab jeder Marktrealität sind. Es würde schon reichen, wenn völlig unrealistische Angebote automatisch aus dem Vergabeverfahren ausscheiden. Es gibt auch jetzt schon Auftraggeber, die 30 Prozent der billigsten und 30 Prozent der teuersten Anbieter von vorn herein ausschließen und für das weitere Auswahlverfahren nicht berücksichtigen. So etwas wirkt auf die Anbieterseite natürlich verhaltenssteuernd. Wenn klar ist, dass ich mit einem Angebot, das weit unter dem Marktwert liegt, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit aus dem Auswahlverfahren ausscheiden werde, dann muss ich real kalkulieren. Also hier würde eine Änderung der Vergabeverfahren, die natürlich auf bestehenden Gesetzen basieren müssen, für beide Seiten Vorteile bringen.